Rede an die Menschen
Sehr geehrte Damen und Herren
Schon in dieser Ansprache an Sie versteckt sich das Sujet dieser Rede.
Sie werden sehen. Zum Glück muß man in einer Rede nichts beweisen. Man stellt Zusammenhänge her, die die Zuhörenden zur Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Gedanken einladen. Was ich also sagen werde ist weniger als halbsoviel Wert für diese Rede , wie das, was Sie in der Lage sind aus ihr herauszuhören.
Diese Rede wird nicht anders können – sie wird die Welt mehr oder weniger verändern, wie alle Reden vor ihr es taten, wie alle Reden nach ihr es tun werden – nicht mehr und nicht weniger.
Pause
Ich habe die Absicht mit dieser Rede an den Grundfesten unserer Welt zu rütteln, zu erforschen warum ist was ist und nach einem Weg zu suchen, der da herausführen kann. Es ist ein durchaus ernster Inhalt, etwas, das sie hier einsammeln, was sie als Gedanken mit nach Hause nehmen und dort wieder auspacken können, um weiter darüber nachzudenken.
Zur Sache – die These ist folgende:
Solange wir es, als Gesellschaft und als Einzelne, nicht vermögen unsere Kinder von Anfang an als gleichberechtigte, ernstzunehmende, gleichwertige Wesen anzusehen, solange wir ihnen, wie selbstverständlich unsere eigenen, selbst erfahrenen autoritären Strukturen eintrichtern und einpflanzen, solange wir uns weiter über sie als Herrscher, Machthaber und Bestimmer erheben so lange wird es Geiz und Gier, Macht und Ohnmacht, Gewalt und Krieg in dieser Welt geben.
Herleitung: Die autoritären Strukturen, die in unserer als demokratisch definierten Eurozone wirken, sind aus einer Zeit übereignet, die jede Form von Gewalt gegen Schwächere legitimierte. Damals wurden Menschen - hier vor unserer Tür -, als Kanonenfutter, Untermenschen, Arbeitsmaterial, unwertes Leben diffamiert und gewinnbringend ausgebeutet und getötet. Und unser Gedenken an die Millionen und Abermillionen Opfer dieser Strukturen beleuchtet nur die gröbsten Auswüchse dieses zerstörerischen Wirkens. Das ist ein wenig so wie mit den DAX notierten Unternehmen – alle reden nur über diese 30 Unternehmen mit ca. 1,5 Millionen Mitarbeitern. Dabei gibt es hier bei uns über 2 1/2 Millionen Unternehmen mit ca. 27 Millionen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Und mit der Struktur der Gewalt und der Ungerechtigkeit sieht es ganauso aus: Im Kleinen, im Privaten, im Kinderzimmer entsteht die eigentliche Gewalt – denn: erfahrene Gewalt kommt als Gewalt wieder zum Vorschein. Immer.
Pause
Wir stecken heute im 21 Jahrhindert nach wie vor, in einem Dilemma. Im gesellschaftlichen Diskurs und in großen Teilen der Gesetzgebung und der Justiz gelten diese autoritären Strukturen als veraltet, überkommen und überholt - Gewaltstrukturen sind geächtet. Die Generation, die die Gewalt der Kriege oder zumindest des einen, des Folgekrieges erlebte, hat erfolgreich daran gearbeitet, diese abzubauen.
Körperliche wie auch strukturelle Gewalt sind weitestmöglich aus unserem Zusammenleben entfernt und die Freiheit der Einzelnen endet erst da, wo sie die Freiheit der Anderen und der Allgemeinheit einschränken. Dennoch finden Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen statt – immer und überall. Ungerechtigkeit und Gewalt gegen Kinder, Frauen, Männer, Alte, Junge, gegen Schwächere halt. Genau wie früher. Aber etwas ist anders als früher: wir haben verlernt sie zu sehen. Sei es weil sie so weit entfernt von uns ist und wir sie nur in Bildern und Geschichten erfahren. Wir uns also leicht daran gewöhnen können – es betrifft uns ja nicht.
Wir müßten sehen lernen, daß wir ihren Opfern täglich in der Straßenbahn begegnen, daß unsere Kinder mit den Opfern den Klassenraum teilen.
Oder sei es, weil die Gewalt so irre komplex geworden ist. wir müßten sehen lernen was es bedeutet, wenn wir für ein Kilo Tomaten nur 0.99 Cent, für ein Kilo Rindfleisch nur 11.- € bezahlen oder was ein smartphone oder ein ElektroAuto wirklich kostet.
Oder auch weil sich Ungerechtigkeit und Gewalt so gut tarnen: Wir müßten sehen lernen was ein Arbeitsvertrag aus einem Menschen machen kann, der von dem Lohn nicht leben kann Wir müßten sehen lernen was unser Müll den Menschen antut, die auf der Südhalbkugel der Erde leben. Wir müßten sehen lernen, daß die Gewalt schon in den Uniformen der Soldaten, den Schutzanzügen der Polizei, in den Talaren der Priester oder den Maßanzügen der Banker eingenäht ist. Pause Was für eine gewaltige Aufgabe, das alles zu entdecken, zu ertragen und vor allem zu bearbeiten. Wie ist das zu bewältigen und wo fangen wir am besten damit an ?
Dazu sage ich – nein, nicht das Anfangen von etwas ist die Lösung, das könnte der falsche, viel zu beschwerliche Weg sein.
Andersrum könnte ein Schuh daraus werden. Hören wir auf. Hören wir auf gewaltätig zu sein, vor allem da, wo wir sehen oder glauben zu sehen, es steht uns ein Schwächerer gegenüber :
- nehmen wir unsere Kinder an, statt sie zu erziehen -
- hören wir auf, sie aus Liebe zu schlagen - mit Worten, mit Regeln, mit Mißbilligung, Vorurteilen, Disziplinierungen, Verboten, Verächtlichmachungen, Anranzungen, Bestrafungen, Befehlen, Beschimpfungen, Geboten, Geheißen, Weisungen, Kommandos, Forderungen, Schadenfreude, vorauseilendem Mißtrauen, ......
oh ja, da kommt einiges zusammen und es gibt noch viel, viel mehr Möglichkeiten sie klein zu machen, einzudampfen -
lass das, komm da weg, das gehört nicht dir, sei nicht so vorlaut, hier wird nicht geweint, das kannst du nicht, .... wer wüßte das nicht besser als wir selbst, die wir selbst, alle da durchgegangen sind. Wir tragen sie in uns – die Ungerechtigkeit und die Gewalt, die wir erfahren haben.
Lasst sie uns sehen lernen und endlich benennen und dann sie verbannen, die Ungerechtigkeit – die Gewalt.
Pause
Ich Danke für ihre Aufmerksamkeit