JA

ein In-Dialog

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Endlich regnet es.
Wir sitzen dennoch im Biergarten des kleinen Theaters, wo ich gerade probe unter einem Sonnenschirm, der uns trocken hält. V. ist ein agiler, emotionaler junger Mann mit vielen Talenten. Malen Zeichnen, Grafik Design, aber auch Autor und Lyriker.
Ich kenne ihn als Darsteller und Performer im Physical Theatre Studiengang an der FHK Essen. Unter dem Klangteppich der Regentropfen stellt sich schon in den Begrüßungsritualien eine warme Zugewandtheit ein.
Als Verbindungsstudent hat er u.a. auch mit den Problemen rassistischer Verletzungen Umgang, kennt Betroffene und deren Haltungen. Deshalb frage ich ihn vorab nach einer Einschätzung zu unserem aktuellen Stück und seines Themas.
Es behandelt auf rustikalkomödiantische Weise die Situation von Ignatius Fortuna, einem dunkelhäutigen Kammerdiener, der im 18.Jhrdt der FürstÄbtissin Franziska Chrtistine als Kind "geschenkt" wurde und es in ihrem Hofstaat zu einigem Ansehen brachte. Die Gefahr von blackfacing, kultureller Aneignung, Fremdenbashing, also Verletzungen bei betroffenen Menschen hervorzurufen ist in der Darstellung durchaus gegeben und keine der Beteiligten hat da fundierte Erfahrungen vorzuweisen.
In seiner Antwort taucht unter anderem der Begriff der Kreativität schon auf, da es immer um einen prozesshaften Verlauf geht, ein Mühen um Übereinstimmungen und Akzeptanzen, Haltungen und deren Ausdruck. Dabei fallen viele Wörter, deren Bedeutung ich nicht kenne (z.B. CA = community acountability) und nur schwer einordnen kann. Mir wird klar, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns, auch wenn wir in der formalisierten Präsentation schon auf einem guten Weg sind. Dann beginnen wir unser geführtes Gespräch über die Kreativität.


Warm up
Er sprüht mit Augen und Händen seine Überlegungen über den Tisch und sprudelt, sich laufend ergänzend, daß ich mit dem Notieren nicht mitkommen und da dem Diktiergerät die nötige Energie fehlt, ist auch hier wieder eine Menge verlorengegangen – und doch..
.

Kann man Kreativität messen ?
Man kann sie spüren, aber messen ? Sie ist erfahrbar. Mich stört beim "Messen" auch diese wissenschaftliche Beobachtung und Verwertbarkeit, die dahinter steht und der Optimierungsgedanke darin – da sag ich nein danke.

Wie beschreiben die meisten Menschen, wenn sie mit kreativen Mitteln, ein Problem bewältigten ihre Befindlichkeit ?
Oh, super - die sind erleichtert, beschwingt, oft inspiriert, weil man auch noch nachglüht - sinnstiftend ist man gewesen - sinnig, weil´s geklappt hat.

Was glaubst du, lässt die Kreativität am meisten wachsen ?
Da gibt es vieles, was dazu beiträgt und vieles, was hilft. Offenheit z.B. ist eine wichtige Eigenschaft. Wahrnehmungsfähigkeit auch, Sinnenverbindungen herstellen - beobachten, lauschen können. Aber auch Auszeiten haben dürfen – sinnlos/unsinnig Zeit verschwenden.

Wann kann sich Kreativität am besten entfalten ?
Uh, das ist schwer einen Anlass zu bestimmen.
Bei mir passiert das auch in unerwarteten Momenten, seltsamer Weise manchmal auch unter Druck, Zeitdruck.
Aber wenn ich den flow zulassen kann, wenn ich mich dem hingeben kann. Am besten ist es – im Prozess drin zu sein – im Machen.

Unterschiedliche Kunst = unterschiedliche Kreativität ?
Kreativität ist so divers wie die Indviduen und da gibt es auch die seltsamst verschiedenen Formen von Kreativität,
z.B. in der Mathematik, wenn du da mit Zahlen und Formeln agierst, braucht du eine ganz andere Aufmerksamkeit als eine Autorin und auch die wieder ganz andere als in der bildenden Kunst.
Eine Verbindung ist vielleicht der flow.

Braucht Kreativität Intelligenz ?
Intelligenz braucht Kreativität, sie ist das treibende Mittel und war schon lange vor der Intelligenz.

Hast du ev. andere Worte dafür ?
Oh ja, viele – Schaffen, Flowen, Inspiration, Sponatanität, Impulsivität, man ist inspiriert – beseelt sein – das hat ja auch was Rauschhaftes, Instinkt. Improvitation.
Manchmal weiß ich erst im Nachhinein, was ich getan habe, das kommt so sehr von Innen, aus dem Fudus des Unbewusten.

Kreativität und Ökonomie – passt das zusammen ?
Ja, ich arbeite daran das zusammenzubringen, ohne die Kreativität abzuwürgen, ohne in die Mühle der Ökonomie zu geraten.
Da gibt es sowieso zu wenig Kreativität, z.B. im Umgang mit Eigentum oder so Fragen wie, was kann Ökonomie spielerisch bedeuten, da wird viel zu wenig geforscht, weil Kreativität kann man überall gebrauchen.

Gibt es sowas wie negative Kreativität ?
Oh ja. Wie jede starke Triebfeder hat Kreativität Macht, ist mächtig und diese Macht kann man missbrauchen. Das ist glaub ich menscheninhäränt, also auch der grausame Gebrauch. Dies alte Bild von Genie und Wahnsinn, dass man sich darin verliert. Im flow kreist das Hirn ja auch um dunkle Dinge.

Gehört K. In die Politik ?
Ja !

Ein Bild von einem kreativen Moment/Prozess – wie sähe das aus ?
Eine Collage – pastöse Farben – assoziativ – aber auch linear, wie ein Netzwerk oder eine mind map – Asemblage – im Pinselstrich erkennt man das verzetteln, die Energie, die Zerrissenheit – aber aus diversen Materialien – aus der Natur und artifizielle – und es wäre nie fertig.

Kreatives Gesellschaftsspiel ? Spiel ?
Scharade, Tabu, alles wo man schnell was entwickeln muss. Das ist toll, man brauch nix dazu und es verbindet, auch wenn es Menschen gibt, die darin Schwierigkeiten haben sich zu zeigen.

persönliche Fragen
Würdest du dich selbst als KünstlerIn bezeichnen ?

Mitlerweile ja.
Früher war das für mich ein Schimpfwort wegen der Überheblichkeit und Arroganz darin und das war fern von mir. Am liebsten bin ich Mensch, da ist man man selbst und auf der Suche danach.

Worin besteht deine Kunst ?
Flow, Prozess, Liebe, das ist sehr divers. Ich komme aus der Malerei, habe Comics gemacht, hab auch viel geschrieben. Jetzt grad hauptsächlich Performancekünstler.
Ich frage dazwischen, ob er das Bedürfnis verspürt, diese unterschiedlichen Künste zusammenzubringen ?
Ich halte das noch getrennt. Wenn ich in dem einen Medium nicht weiterkommen, kann ich in ein anderes wechseln und finde da meist etwas zum Weiterkommen, das möchte ich nicht verlieren.

Was macht für dich das KünstlerIn sein aus ?
Daß ich mich beruflich zu meiner Umwelt in Beziehung setzen muß/darf und selbst entscheiden kann um was sich mein Leben dreht , ich möchte

  • offenen Auges von den kleinsten Dingen angesteckt werden
  • und offen bleiben, bzw.
  • das immer wieder erlangen, erreichen oder zurückerobern
  • daß man es nicht irgendwann verstanden hat
    – weiter auf der Suche bleiben – wie ein Meilenstein, kurz ankommen um weiterzugehen,
  • wie wenn man bei Max Ernst guckt, wie er ein Thema, eine Frage mit unterschiedlichsten Mitteln erforscht/bearbeitet.

    Hast du Ziele, die du mit deinem "Schaffen" erreichen willst ?Für Dich ? Für andere ?
    Oh, das ist sehr unterschiedlich.
    In der bildenden Kunst ist das sehr für mich, ein genussvolles für sich sein –
    Schreiben ist ein Reinigungsmittel – das sind beides recht isolierte Künste.
    Beim Darstellen ist es ein In-Dialog-Kommen, bewegen wollen, erreichen, erfreuen, befriedigen.
    Im Theater habe ich mich immer viel mit Männlichkeiten beschäftigt. Ich sehe das auch als einen Beitrag zu dem feministischen Diskurs.
    Z.B. bei einem Theaterstück, das ich mit einem Freund geschrieben habe, haben wir mit Zitaten aus der Kneipe, die wir über Monate gesammelt haben als wir als Kellner dort arbeiteten ein Stück über toxische Männlichkeit gemacht.
    Und immer wichtig finde ich, was zum Lachen, was mit Selbstironie und Humor zu bearbeiten, auch gefährliche, ernste Themen. Ich glaube das berührt auch tiefer als die Tragik.
    Tragikomische Momente können Öffnungen hervorrufen, wenn die das Lachen im Hals stecken bleibt bist du nochmal anders beteiligt.

    Welche Rolle spielt Kreativität in deinem KünstlerInnen Sein ?
    Die Rolle !. Das ist essentiell. Ich lerne immer mehr Ordnungssysteme zu entwickeln, die mir helfen zu sortieren, einzuordnen, auch mich zu erinnern, ein Fundament an Struktur zu schaffen, das mir auch hilft, davon leben zu können.

    Würdest du dir ein Mehr an Kreativität wünschen und wenn ja, wie sollte sie beschaffen sein ?
    Ich glaube nicht. Die Wellen an Kreativität sind mir nah. Auch Nichtkreativität ist wichtig, um wieder kreativ zu sein. Kreativität ist ein Moment.

    Wenn da etwas geboren wurde, was macht das mit dir ? Kannst du beschreiben, was da in dir geschieht/entsteht ?
    Das hat auch was mit Stolz zu tun. Angekommen zu sein, eine Sinnhaftigkeit. Ich liebe den Moment des "Schritt-zurücktretens", Betrachtens, zu sehen:
    boh es ist fertig

    Gibt es bei dir den Moment, wo es passiert ?
    Ja ! Das ist aber auch immer wieder anders. Bei einer Collage, da finde ich manchmal Teilstücke, schon wenn sie fertig ist, die dann anfangen miteinander zu kommunizieren und die dann auch in ganz anderen Konstellationen gedacht und betrachtet werden können.
    Beim Darstellen ist es nicht so, weil da ist es ja immer der Moment des Spielens.

    War das schon immer so, hat sich das verändert ? Ja schon, früher gab es da, sowas wie ne Angst, ne Blockade. Da dachte ich manchmal, sowas Gutes schaffst du nicht nochmal, besser geht es nicht und hab dann deshalb nicht mehr angefangen, nicht mehr weitergemacht.
    Mein Ordnungssystem hilft mir da, weil ich die Momente jetzt ganz anders akzeptieren kann wo nichts passiert.
    Der Leistungsgedanke ist anders – heute denke ich auch noch, so wird das nie wieder, aber dafür kommt was anderes.

    Hast du Mittel, Techniken, Vorgehensweisen dahinzukommen ?
    Die Ordnung ist das Haus in dem ich wohne, das ist so ne Art Überlebenshilfe.
    Und Assoziationen – ich reihe Dinge, Gesten, Worte, Gesichtsausdrücke aneinander. Dabei arbeite ich skizzenhaft, um nicht zu verkopft zu sein.
    Da steht die Intelligenz der Kreativität oft im Weg.
    Ich mache mir Notizen von kleinsten Dingen. z.B. sehe ich sehe einen Vogel, der sich besonders verhält, dann halte ich das fest, mache eine Skizze und ich weiß, irgenwann wird das genutzt werden.
    Da gibt es regelrechte Kreativitätsschübe. Bereuen ist nicht mehr, es geht weiter – das ist eine Form von LoslassenKönnen.

    Was geschieht bei der Präsentation ?
    Das ist der pure Genuss mittendrin zu sein. Ich öffne im Spiel auch oft die 4te Wand. Du bist ja beim Spielen immer am Rand des Scheiterns, weil der Moment nirgendwo so verfliegt wie im Theater, aber daraus entsteht ja eben der Kontakt und ich finde, der live-Moment soll auch mich überraschen.

    Würdest du den Moment/ diese Kreativität als heilend beschreiben ?
    Total. Kreativität hat was heilsames. Schmerzen und Nöte hat man dann einfach nicht mehr.
    Auch auf intellektueller Ebene findet man viel über sich. Im Ausprobieren von Gesten, Texten, Bewegungen lerne ich mich kennen und das ist heilsam, ich kann etwas weiter in der Welt agieren, allein schon rein physisch.
    Und es ist ein Zufluchtsort, ein Rückzugsort, ich kann mich fallen lassen, freimachen, entleeren.
    Wie ein Baumhaus oder ein Höhle in der ich geschützt bin,
    nur dieser Ort ist in mir.

    Kannst du dich der Aussage anschließen – Meine Kreativität heilt
    -meine geschundene Seele ?

    Ohja, und sie befeuert meine Kreativität,
    in mir ist es so.

die, die sich mit meiner Kunst beschäftigen ?
Ich find es schön, wenn es sie berührt, wenn es Anstoß sein kann zum Nachdenken.

Gibt es einen Ort, der dir beim Kreativsein hilft ?
Eigentlich ist der Ort nicht so wichtig, weil es ein Ort ist, der in mir stattfindet. Wenn ich diese Natur in mir rauslassen kann, wird es später, wird es den Prozess speisen.

Jetzt wird die Erinnerung schwacher, weil ich versäume mitzuschreiben. Das ist kein Interview mehr - Wir reden im Duett, füllen gegenseitig Gedankenlöcher und von dem letzten Block bleibt eigentlich nur dies -
Allein/Zusammen/Politische Fragen

Kennst du weitere / andere Auseinandersetzungen mit Kreativität im öff. Diskurs ?
Im Bildungssystem

a) evaluierbare Leistungsabfragen vs.
b) kreative Gestaltungsprozesse
z.B. bei Steiner: kreieren auf ganzheitlicher Ebene
und gipfelt in dem Stoßgedanken:
ach gäbe es doch eine säkuläre Spiritualität
- lasst uns alle danach suchen gehn !

Irgendwann verschwindet V. nach herzlicher Verabschiedung im Regen – ich bleibe noch eine Zigarette sitzen.

(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)