...zum Hingehen auffordern

Geschichtensammler

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Mein erstes Interview mit einem Menschen, den ich noch gar nicht kenne. Ein jüngst verstorbener Freund hatte ihn zum Nachbarn, erzählte mir von seinem Einzug gegenüber, von seiner Arbeit als bildender Künstler und vor allem von seiner offenen, zugändlichen Art. Wir haben uns telefonisch verabredet. Mit dem Fahrrad geht´s am Morgen zum Atelier von A.G., das in einer ganz normalen städtischen Wohnstrasse liegt. Die Tür des ehemaligen Ladenlokas steht offen, ich klopfe, da wird sie ganz aufgemacht. "Tach, willste nen Kaffee, Tee ?" Der Raum ist groß, hell, klar. Ein zweiter dahinter wird von einem Regal abgetrennt und wirkt etwas höhlenhaft, weil der Computerschreibtisch, auf dem Boxen, vor dem eine Kamera steht, komplett von gut gefüllten Buchregalen umschlossen wird. Nachdem wir uns auf das "Du" geeinigt haben geht es munter los. Kein Blatt vorm Mund, kein Rumgeeier, klare offene Worte. Es dauert 20 Minuten bis wir zum Fragebogen kommen. Die Batterie vom Aufnahmegerät ist alle, kein passender Stromanschlussadapter zu finden, also alles anders:

Warm up:

Schon die Antwort auf die erste Frage nach der Messbarkeit der Kreativität, die mit "Nein" beantwortet wird, macht in seiner Erläuterung neugierig auf mehr. Natürlich kann man die nicht messen, jeder hat sie und sie zeigt sich überall, im Alltag, in den Utopien die man hat, im "Über-dieRunden-kommen", das ist so unumgrenzbar, daß keine Messbarkeit möglich ist.

Wer kreativ ein Problem bewältigte, wird möglicherweise einen anstrengenden Weg hinter sich haben und hat auf elegante Weise (im Gegensatz zur Gewalt (wobei die auch anstrgend sein kann)) das Problem erhaben gelöst, sich selbst ev. gar erhoben und wird sich glücklich auf die Schulter klopfen.

Unabdingbar für kreatives Schaffen ist die Freiheit – zu machen was man will, dabei bleiben zu können, nach Sachen zu suchen, die dich interessieren, den Spaß an der Sache vorantreiben zu können. Das geht am Besten wenn du entspannt bist und die Arbeit als ein Ausprobieren verstehst, eine Art Herausforderung, der du in Ruhe und Selbstbestimmung begegnen kannst.

Die Kreativität ist dabei immer die Gleiche, egal welche Kunst du betreibst, alles andere ist Handwerkszeug. Klar brauchst du dafür auch Intelligenz. Bei mir ist das vor allem die Recherche, die ich betreibe, um den Geschichten Gestalt geben zu können.

Man braucht die Ökonomie um arbeiten zu können. Der KunstMarkt funktioniert nochmal ganz anders, da wird weit über die Freiräume hinweg gehandelt und die Erlöszahlen sind wichtiger als die Kunst.

Du kannst deine Kreativität näturlich auch negativ einsetzen. Die bombastische Beleuchtung der Naziarchitektur z.B. war von denen bestimmt nicht negativ konotiert. Wenn das jetzt so ist, dann wegen der Nazis und der Wirkung, die erziehlt werden sollte, nicht wegen der Installation. Mit Kreativität die Macht zusammenzuhalten ist ja auch, wenn auch nicht gerade positiv, so eine Art LebensKreativitäsSchlauheit.

Zu den persönlichen Fragen:

Klar, ich bin ein Künstler. Ja. Der größte Teil meiner Kunst ist die Recherche zu einer Idee. Wobei das dann ziemlich grenzenlos ist, wenn ich die Idee mag. Meist sind das Geschichten, die aus dem Focus geraten sind, die die Leute nicht mehr so gerne hören. Wahre Geschichten, individuelle Lebensgrundlagen aber auch programmatische Inhalte und allgemeine Hintergründe. Das kann ich am Besten mit großem Freiraum, wobei Zeitdruck auch schon mal hilfreich aber nicht wichtig ist.

Was will ich erreichen ? Wenn sich die Betrachtenden in etwas hineinbegeben, womöglich nachempfinden, etwas von der Geschichte mitnehmen, die sie sonst gar nicht auf dem Schirm haben. Diese Fragen, also, was wäre das dann auch für andere. Ich will da zum Hingehen auffordern. Ich hab z.B. bei fast jeder Ausstellung vor dem Haus eine Zeitung liegen, mal mit Text, mal nur mit Fotos, um auch denen, die z.B. wenig Kohle haben, die Möglichkeit zu geben, von der Umsetzung der Geschichte zu erfahren oder um Leute, die nicht so einfach ins Museum gehen würden ein wenig anzuschubsen. Für mich ist das eine Form der Übersetzung, die Geschichten so umzusetzen, daß da was passiert und wenn ich da dann dran bin, bin ich 24 Std. mit den Dingen voll, da brauch ich dann auch kein Mehr an kreativen Impulsen. Im Gegenteil, da arbeite ich eher an Auszeiten wie Joggen oder Wandern, aber auch da kommen immer wieder Ideen, ist ja auch gut so.

Das ist im Laufe der Zeit aber auch anders geworden. Früher war das eine Projekt sehr viel mehr foccussiert, heute gibt es Querverbindungen oder in der Recherche stoße ich auf Notizen, die mich dann wieder dazu bringen, an einem anderen Projekt weiterzuarbeiten. Das ist mehr geworden, weil die Vielfalt sich vergrößert hat. Dieser Moment, der mich triggert kommt immer, ich kann nicht sagen wo und wie, das geschieht je nach Gelegenheit und Auseinandersetzung. Im Normalfall ist das sehr spannend. Aus breitangelegten Notizen zum Thema werden kleine Skizzen, die später am Computer konkretisiert werden, alles ein Gestalt - annehmen, bevor das Konkrete Gestalt annimmt. Wenn es dann da steht, die Arbeit, ist das fast der uninteressanteste Moment. Der Weg dahin, das Erzählen ist wichtig. Die Geschichten fordern mich heraus, ihnen gerecht zu werden. Ihnen zu dienen ist wichtig. Das macht dann auch die Lust am noch mehr machen, die Gespräche in diesem Prozess, wo sich dann auch weitere Aufträge, weitere Geschichten generieren. Irgendwie bin ich da auch Geschichtensammler. Und das war schon immer so: während die anderen auf dem Schulhof tobten und spielten hab ich vielleicht eine zerknitterte Coladose in der Hand gehabt, hab sie betrachtet und mir tausend Fragen dazu gestellt, warum ist sie zerknittert, wie ist das geschehen, warum so und nicht anders. Das war schon immer so - so hat die konkrete Umsetzung auch immer mit der Geschichte zu tun und umgekehrt. Meine Kreativität ist für mich mittelbar heilend. Wahrscheinlich werden die meisten ja Künstler, um Verletzungen zu bearbeiten und mit ihnen umgehen zu können. Aber wenn sie dann dran sind, ist das vielleicht nur noch ein unbewustes Beschäftigen mit der eigenen Geschichte. Nein, ortsgebunden ist sie nicht, das ist egal, das passiert überall. Wenn ich ein Bild malen/zeichnen sollte, das mit Kreativität zu tun hat, sie zeigt, dann würde ich eine weiße leere Leinwand wählen oder halt ´ne Zeitung, die beschrieben wird. Ein kreatvies Spiel ist Schach, in engen Grenzen gnadenlos viele Möglichkeiten, kann ich aber nicht so gut, ich spiele gern Baggammon. Im Prozess der gestalterischen Umsetzung sind ja immer mehrere, manchmal, je nach Größe auch sehr viele dran beteiligt. Dann bin ich der Ideengeber, der die Impulse reingibt und ich muß mit den Möglichkeiten der Umsetzung und der Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen umgehen, ev. verändern oder fordern und eigene Ideen einbringen.

Mit Beuys z.B. habe ich so meine Schwierigkeiten, schon weil jetzt gerade zu seinem Hundertsten so viel und so viel schlechtes auch in den Himmel gehoben wurde. Er hat sich selbst halt zur Marke gemacht, war ein skrupelloser Selbstdarsteller und hat dabei viele regelrecht ausgenutzt. Was ich bemerkenswert finde, wie sich Soziologie und Philosophie in den letzten Jahren verbunden, verschränkt haben, die Vermischung, Erweiterung über die Individualität, den einzelnen Menschen hinaus, hin zu gesellschaftlichen Prozessen. Das macht eine kreativere Auseinandersetzung möglich, gibt mehr Futter zum Nachdenken, schafft einen neuen Kontext, der auch mehr Vergnügen schafft und ansprechbarer für komplexe Themen macht.(Klima/Frieden/...)

Auf dem Heimweg radele ich ein wenig gedankenbekifft auf der neu ausgewiesenen Fahrradstrasse zum nächsten Termin - ich besuche meinen Freund und ehemaligen Philosophelehrer auf dem Friedhof.

(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)